Gestern berichtete das Wladimirer Internetportal Zebra ausführlich über das jüngste Treffen des auf Anregung von Altoberbürgermeister, Dietmar Hahlweg, vor fünf Jahren gegründeten Diskussionsforums Prisma. Hier nun heute die Übersetzung des Textes:

Am 7. Dezember fand ein weiteres Treffen des Diskussionsforums Prisma statt, bereits das dritte in diesem Halbjahr. Dieses Format wurde vor einigen Jahren auf Initiative der Partnerstädte Wladimir und Erlangen und unter Beteiligung der Wladimirer Niederlassung von der Russischen Akademie für Verwaltung und Wirtschaft gegründet. Der Wunsch, sich gegenseitig besser kennenzulernen, unsere Erfahrungen auszutauschen und von den Erfahrungen der Kollegen aus dem anderen Land zu lernen, wurde zu einer sehr guten Motivation für die Teilnehmer der Diskussionen, die sowohl in Wladimir als auch in Erlangen stattfanden.
Brennende Themen wie Migrationsprobleme, die Rolle der Massenmedien in der modernen Gesellschaft, Ökologie und viele andere kamen bei den Treffen zur Sprache. Zu den Teilnehmern und Referenten der Begegnungen gehörten auch Führungspersönlichkeiten der Partnerstädte, bekannte Vertreter des öffentlichen Lebens,
Auch für 2020 hatte Prisma große Pläne…
Und dann brachte es im Frühjahr die Situation hier wie dort mit sich, daß es keine persönlichen Treffen mit lebhaften Diskussionen und hitzigem Meinungsaustausch geben würde. Es schien, die wunderbare Idee des Forums müsse angesichts des unüberwindlichen Hindernisses, ebenso wie viele andere wichtige Ereignisse und Aktivitäten in der Welt, in der Hoffnung verschoben werde, bis die Pandemie eines Tages besiegt wäre.
So wie es aussieht, wird das heimtückische Corona-Virus sicherlich überwunden, vielleicht sogar schon im Jahr 2021, aber für den Moment ist der Kampf noch nicht zu Ende, und die Welt hat noch einen recht langen Weg vor sich, bis die Sache mit der Pandemie langsam zum Besseren gewendet werden kann. Einige Einschränkungen und die Sorge um die Gesundheit eines jeden bleiben also auf lange Sicht geboten, doch das ist nicht immer eine schlechte Sache.
Es stellte sich nämlich heraus, daß die Unmöglichkeit, sich im physischen Raum zu treffen, den Anstoß zu intensiveren Kontakten über das Internet gab, dessen Stand und Verfügbarkeit hier wie dort heute in etwa auf dem gleichen, einem recht hohen Niveau ist. Die Kontakte unter den Mitgliedern von Prisma rissen daher auch während der Pandemie nicht ab, sondern wurden sogar noch intensiver und vielseitiger.
In den letzten sechs Monaten hielt Prisma drei Treffen ab. Während sich die Mitglieder in der ruhigen Zeit vor Corona ein- bis zweimal im Jahr trafen, hat die Intensität der Arbeit nun deutlich zugenommen, und dieses Wachstum spiegelt sich auch in der inhaltlichen Arbeit des wider.
Im Juli begann Prisma, sich mit einem für beide Länder akuten und drängenden Thema zu befassen, mit der Diskussion über die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg. Wir hatten uns schon darauf eingestellt, im Jahr der 75. Wiederkehr des Sieges viele Gedenkveranstaltungen zu diesem Ereignis durchzuführen. Da im Dialog zwischen Russen und Deutschen über diese Lehren offensichtlich unterschiedlich waren, stellte sich Prisma dieser ernsthaften Herausforderung und suchte gemeinsam nach Antworten.
Die Antworten erwiesen sich als interessant, vielseitig, manchmal kontrovers, wie es sich gehört, wenn man ein komplexes, vielschichtiges Thema diskutiert.
Wir möchten darauf hinweisen, daß das Juli-Treffen von Prisma in einem neuen Format unter Verwendung von Informationstechnologien stattfand, was es ermöglichte, alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu beachten und die Kontaktbeschränkungen nicht zu verletzen.

Die Teilnehmer des Treffens sprachen über das historische Gedächtnis des Zweiten Weltkriegs aus verschiedenen Blickwinkeln. Nikolaj Schtschelkonogow, Teilnehmer am Großen Vaterländischen Krieg, berichtete von seiner Erfahrung mit Krieg und Frieden, über seine neuen Freunde in Deutschland und darüber, dass ein neuer schrecklicher Krieg nicht zugelassen werden darf und daß dies die Aufgabe der jüngeren Generationen sei.
Wjatscheslaw Kartuchin, Direktor der Wladimirer Filiale der Russischen Akademie für Wirtschaft und Verwaltung, wies in seiner Rede auf die Gefahr der Verzerrung und Verfälschung der Geschichte hin, die oft zur Grundlage für Radikalismus und das Wiederaufleben nationalistischer Bewegungen werde.
Auf dem Treffen erhielt auch die Sicht eines professionellen „Hüters der Geschichte“, Oleg Gurejew, stellvertretender Generaldirektor des Wladimir-Susdaler Landesmuseums, Raum, als er darüber sprach, wie die historische Verbindung zwischen Generationen und Ländern wiederhergestellt und entwickelt wird und wie das Museum daran beteiligt ist.
Die beiden Professoren der Universität Erlangen-Nürnberg und der Wladimirer Niederlassung der Akademie für Wirtschaft und Verwaltung, Julia Obertreis und Roman Jewstifejew, präsentierten eine eher akademische Sicht auf die Probleme der Bewahrung des historischen Gedächtnisses am Beispiel ihrer Länder.

Vor allem aber bleibt das neue Format von Prisma wegen des Dialogs, der pointierten Fragen und substanziellen Antworten, der Argumente und der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit in Erinnerung.
Die Diskussion, die nicht in einer Sitzung Platz fand, wurde im Oktober mit einem zweiten Treffen fortgesetzt, ebenfalls dem Thema Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Der Mitbegründer und langjährige Beauftragte für die Wladimir-Erlangen-Partnerschaft, Peter Steger, schilderte eindrucksvoll die Geschichte seines Vaters, der einen langen und schwierigen, dramatischen Weg zurückgelegt hatte, und dem es gelungen war, seinem Sohn Friedensliebe und Respekt für Rußland zu vermitteln. Jutta Schnabel sprach über die Erinnerungskultur im deutsch-russischen Jugendaustausch und stellte eine erstaunliche Erfahrung vor, wie man Geschichte und historische Ereignisse in den Köpfen junger Menschen „lebendig“ werden lassen kann.
In Deutschland ist die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auf seine Weise dramatisch und traumatisch, aber die moderne deutsche Gesellschaft nutzt alle Möglichkeiten, diese Erfahrung nicht zu vergessen und Lehren daraus zu ziehen, jungen Menschen in verständlicher Sprache und verständlichen Bildern das Verhängnisvolle radikaler Ideen zu vermitteln, die vor 75 Jahren Europa und die Welt fast zerstört hätten.
Und wieder einmal war der Hauptinhalt des Oktobertreffens eine gehaltvolle Diskussion, bei der Fragen gestellt wurden, um die Positionen des jeweils anderen zu klären.
Bildlich gesprochen ermöglicht ein solcher Dialog es nicht nur, auf eine „heiße“, von einem anderen formulierte Schlagzeile zu starren, sondern zu versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen, das Gegenüber zu verstehen und ihn in unsere eigenen Gedanken und Gefühle einzubeziehen, wie der deutsche Philosoph, Jürgen Habermas, sagen würde.
Wjatscheslaw Kartuchin erinnerte noch einmal an die Bedeutung und Notwendigkeit der Bewahrung des historischen Gedächtnisses und die Unzulässigkeit seiner Verfälschung. Die deutsche Seite unterstützte ihn voll und ganz: Jeder, vor allem die ältere Generation, nahm sich dies zu Herzen und zeigte großen Respekt vor den Prozessen des Bewahrens der Geschichte.
In einer Welt, die zunehmend von Fake-News, Post-Truth, der „Zerstörung der Wahrheit“ beherrscht wird, gibt es nur einen Weg, keinen Fehler zu machen und sich nicht täuschen zu lassen, nämlich sich in diesen aufgewühlten Ozean zu stürzen, der sein Leben unter der Oberfläche von Schlagzeilen und uns aufgenötigten Nachrichten und Meinungen führt. Und es ist besser, dies nicht allein zu tun, sondern in der Gesellschaft solch aufrichtiger und vorbereiteter Wahrheitssucher, wie es die Mitglieder des Diskussionsforums Prisma sind.
Beim dritten Treffen schließlich, das am 7. Dezember stattgefunden hatte, wurden den Teilnehmern die Vorteile und Möglichkeiten, wie sie die moderne Technik bietet, voll bewußt.
Die Dialogteilnehmer von deutscher Seite waren Julia Obertreis, Peter Steger, Jutta Schnabel, Wolfgang Niclas, Heinz Gerhäuser und Gerda-Marie Reitzenstein, von russischer Seite Wjatscheslaw Kartuchin, Alexander Illarionow und Roman Jewstifejew.

Bei dem Treffen trugen wir die Ergebnisse der letzten beiden Treffen zu den Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zusammen, referierten kurz die vorangegangenen Berichte und ließen, wie immer, Diskussion, Fragen und Antworten nicht zu kurz kommen, ein Zeichen dafür, daß das Thema noch lange nicht erschöpft ist.
Vielleicht, zumindest wäre es sehr zu begrüßen, könnte ein Gespräch über die Gedenkpolitik, das kollektive Gedächtnis mit Vertretern der akademischen Gemeinschaft unserer Länder in Form einer wissenschaftlichen Konferenz fortgesetzt werden, mit Prisma als einer der Organisatoren.
Ganz den Plänen für die Zukunft war denn auch der zweite Teil des Treffens am 7. Dezember gewidmet. Die Teilnehmer diskutierten über mögliche Themen, die bei der nächsten Zusammenkunft auf die Tagesordnung kommen könnten, und davon gab es eine ganze Reihe. Auch das nicht ausdiskutierte Thema Ökologie wurde in Erinnerung gerufen, einschließlich der wachsenden Widersprüche zwischen moderner Entwicklung und Naturschutz, die zu unerwarteten und manchmal heftigen Reaktionen der Natur auf menschliche Eingriffe führen. Ein weiteres interessantes und herausforderndes Thema wäre die Reaktion der kommunalen Verwaltung in den Städten und Ländern auf die Herausforderungen der Pandemie, wie sich die soziale Ordnung verändert und wie die Bürger darauf reagieren, wie die städtische Wirtschaft mit der Pandemie zurechtkommt und was die Wege für eine schnelle Erholung sein können. Peter Steger regte bereits im Verlauf der Diskussion an, darauf zu schauen, wie sich die Partnerschaft zwischen Wladimir und Erlangen angesichts der Pandemie weiterentwickelt.
Als Ergebnis der Diskussion wurde mit deutlichem Vorsprung vor anderen Themen die Pandemie und die Frage, wie Menschen, Gemeinden, Städte und Länder darauf reagieren, als Thema für das nächste Treffen gewählt. Das Treffen wird im Februar 2021 stattfinden und die Vorbereitungen für Redner und Berichterstatter haben bereits begonnen.

Zum Abschluß der Runde kam noch das wichtige Thema einer effektiven Kommunikation zur Sprache, wobei die größte Herausforderung natürlich die Sprachbarriere darstellt. Zunächst wurde die Hürde mit Hilfe der Übersetzungen von Julia Obertreis und Peter Steger überwunden, im Juli und Dezember erhielt Prisma große Unterstützung von den Dolmetscherinnen Maria Golowko und Oxana Kirej.
Roman Jewstifejew hat seine eigene Sicht auf dieses Thema. Er glaubt, daß wir, wenn wir uns gegenseitig verstehen und einander einbeziehen, wenn wir versuchen wollen, uns zum Besseren zu verändern, keinen anderen Weg haben, als die Sprache des anderen zu erlernen, damit wir in der Welt besser verstanden und respektiert werden. Um Russisch zu lernen, um Deutsch zu lernen, um andere Sprachen zu lernen, damit am Ende gar die gleiche Sprache zu sprechen als Erweiterung unserer Fähigkeit zu Verständigung und Einfluß.
Genau darum bemüht man sich bei den Treffen von Prisma, das sich zu einer bedeutenden russisch-deutschen Institution der zivilgesellschaftlichen Diplomatie und der Koordination der Interessen der Völker beider Länder entwickelt.