Mit dem folgenden Bericht schlägt die Partnerschaft ein neues Kapitel auf. Dank der Anregung von Jelena Dildina, Krasnogorsk, und Klaus Strienz, Höchstadt a.d. Aisch, ist erstmals der Schachsport buchstäblich ins Spiel gekommen. Doch lesen Sie selbst den zweiteiligen Bericht von Manuela Högner, die ihre Begeisterung über die deutsch-russischen Begegnungen nicht verheimlicht.

Jelena Dildina und Sibylle Menzel bei der Abholung der Gruppe am Flughafen
Der Ursprung der Reise, die vom 14. bis 18. November stattfand, liegt in der Partnerschaft, Freundschaft und Schachverbindung zwischen Höchstadt und Krasnogorsk begründet. Die Einwohnerzahl der Stadt Krasnogorsk (Satellitenstadt von Moskau) beziffert sich auf ca. 125.000. Es ist schon das zweite russisch-deutsche Schachturnier der Partnerstädte unter dem Motto „Goldener Turm“ in Krasnogorsk. Hierbei bekam der Schachclub Erlangen 48/88 die Möglichkeit, sich dem städtepartnerschaftlichen Austausch anzuschließen, ebenso wie Erlangens Partnerstadt Wladimir. Unsere Delegation aus Erlangen bestand aus vier Erwachsenen (Vorstandsvorsitzender Gerrit, Stefan, Michael und Manuela) und drei Jugendlichen (Marc, Tim und Tom).

Gegen 15.00 Uhr Ortszeit landeten wir problemlos auf dem Flughafen Scheremetjewo. Bemerkenswert war dabei, wie hoch die Sonne am Himmel stand, die uns mit ihren Strahlen begrüßte. Die Busfahrt nach Krasnogorsk zog sich durch den Moskauer Stau sehr lange hin. Fahrradwege sucht man hier vergebens, und es scheint, als seien alle Menschen nur mit dem Auto unterwegs. Obwohl Krasnogorsk zum Ballungsraum Moskau gehört, ist die Stadt nicht die U-Bahn (Metro) angeschlossen.

Nach schier endloser Fahrerei wurden wir umso herzlicher in den Räumlichkeiten des Museums für deutsche Kriegsgefangene von der Dolmetscherin Jelena Dildina begrüßt. Nach Einnahme eines kleinen Imbisses und der Vorstellung des Programms für die kommenden Tage fuhren wir in ein Café, um zu speisen. Gesättigt ging es dann erstmalig in den Schachklub „Garde“, wo wir uns durch Vorstellungsspiele alle miteinander besser kennenlernen konnten. Es gab den ersten Kontakt mit den russischen Teamkollegen aus Wladimir. Die Sprachanimation und die Teambesprechung machte Kindern wie Erwachsenen enorm viel Spaß, so daß wir uns in Hochstimmung außerordentlich auf das Kommende freuten. Gegen Abend wurden wir von unseren Gastfamilien abgeholt, und jeder fand (s)ein russisches Bettchen.

Für den zweiten Tag war ein Mannschaftsturnier in den Räumlichkeiten des Museum der deutschen Antifaschisten in Krasnogorsk angesagt. Hier gab es im 2. Weltkrieg ein Kriegsgefangenenlager für jene, die sich der sowjetischen „antifaschistischen“ Seite angeschlossen hatten und für Propaganda ausgebildet wurden. Dies ist ein ganz besonderer Lernort, da sich hier die deutsche Geschichte mit einzigartigen Dokumenten widerspiegelt und wunderbar erklärt wird (in sehr persönlichen Dokumenten, wie z.B. im Briefwechsel zwischen deutschen Frauen und den Kriegsgefangenen, ihren Söhnen und Ehemännern). Das Museum ist jetzt eine Filiale des zentralen Moskauer Siegesmuseums. Jelena Dildina erklärte uns eindrucksvoll in einer Führung durch das Museum die bewegenden Schilderungen der Lebensläufe der Kriegsgefangenen, die dort eine sowjetisch-stalinistische Erziehung erhielten. So geschult, bekamen sie eine bessere Verpflegung als die anderen Kriegsgefangenen. Der Überlebenswille trieb viele Soldaten dazu, an diesen Schulungen teilzunehmen.

Gegen 11.00 Uhr begann die offizielle Eröffnung der Schachspiele, untermauert mit vielen Gastreden, die dieses partnerschaftliche Projekt mit Herz, Arrangement und Zuschüssen unterstützen. Das Medieninteresse war enorm. Interviews wurden gegeben, und die Kameras klickten im Minutentakt. Ein Schachturnier wie das in Krasnogorsk ist in Rußland einzigartig und wird von dem Hauptsponsor KNAUF GIPS LLC und weiteren Organisationen und Firmen wie Kreative Vereinigung der Krasnogorsker Künstler „LIK“, Zentrum für Familienbildung „SOWA“ und Moskauer Vertreter des Netzwerks der Marke „Die echte Bäckerei“ tatkräftig unterstützt. Hier konnte man regelrecht spüren, mit wie viel Herzblut und Einsatzbereitschaft die russischen Organisatoren dabei sind, die Freundschaftsbande zwischen unseren Ländern zu bündeln und immer wieder zu erneuern und zu festigen. Selbst die Kleinsten wurden eingebunden und traten als lebende und sprechende Schachfiguren auf, was eine Augenweide war.

Sehr bewegend setzten sich die Schachspieler an ihre Bretter. Die am Turnier teilnehmenden Städte waren Krasnogorsk, Istra, Wladimir, Höchstadt a.d. Aisch, Erlangen und Landshut. Die Städte bildeten mit ihren Partnerstädten gemischte Mannschaften (im Erwachsenen- und Jugendbereich), um in insgesamt zwölf Teams im Schnellschach-Modus gegeneinander anzutreten. Die freundschaftlichen Bande wurden dadurch noch verstärkt, daß Deutschland nicht gegen den Gastgeber antrat. Eine tolle Symbolik: Höchstadt spielte zusammen mit den Schachspielern aus Krasnogorsk, Erlangen mit Wladimir und die deutsche Delegation aus Landshut mit Nowosibirsk bzw. Istra.

Unsere gemischten Jugendteams aus Erlangen und Wladimir schlugen sich mit Bravour, so daß bei den Jugendlichen der 1. Platz mit Marc (13,5 Brettpunkte) und der 2. Platz mit Tim und Tom (11,5 Brettpunkte) eingefahren werden konnte. Auch den Erwachsenen gelang es, einen der begehrten Pokale zu ergattern: 2. Platz mit Stefan und Gerrit (13 Brettpunkte) sowie Platz 3 die Mannschaft mit Michael (12 Brettpunkte). Ein stolzes Ergebnis. Sieger wurde schließlich das Team Landshut/Nowosibirsk, gegen das wir knapp unterlagen.

Ein absolutes Highlight waren die Siegertrophäen, sprich Pokale. Eigentlich sollte man hier von Kunstobjekten sprechen. Von dem Künstler Jewgenij Glys aus Krasnogorsk wurden im Stil des „Tschernewsker Spielzeugs“ einzigartige Preise für das 2. Schachturnier der Partnerstädte „Goldener Turm“ gefertigt. Der Meister arbeitet im Stil der Naiven Malerei und fertigte die Pokale aus Lindenholz. So schreibt der Autor über sein Projekt „Tschernevsker Spielzeug“, in dessen Stil die Preise ausgeführt wurden: „Wahrscheinlich hat jeder Mensch im Herzen sein eigenes Dorf. So habe auch ich mein eigenes Dorf, Tschernewo, ein kleiner Ort an der Grenze zwischen der Krasnogorsk und dem Wald, der wohl bald verschwinden wird, von allen Seiten von Neubauvierteln bedrängt. Aber soll nicht etwas bleiben? So wurde die Idee für das Spielzeug geboren. Das Dorf „wird vergehen, und das Spielzeug wird bleiben“.
Nachdem die Köpfe so rauchten, verbrachten wir nach der feierlichen Siegerehrung die Zeit bei einem Spiel im Außenbereich. Hier konnte jeder unbeschwert durchatmen sich schon auf die anschließende Führung durch Krasnogorsk freuen. Unterstützt wurde unsere Dolmetscherin von den Mitgliedern des Deutschklubs. Es war für uns ein Ohrenschmaus, den Jugendlichen bei dieser Führung, wohlbemerkt auf Deutsch, zu lauschen. Wir alle waren von der Sprachbegabung der Kinder begeistert. Auch hier legten unsere russischen Gastgeber offenherzig ihre Zuneigung zu Deutschland dar. Nach unserem gemeinsamen Spaziergang erhielten wir die einmalige Möglichkeit, beim Training der berühmten Eishockeymannschaft im hiesigen Sportzentrum beizuwohnen. Der „Tanz auf dem Eis“ wurde uns eindrucksvoll demonstriert.
Am nächsten Tag gab es vormittags einen Workshop für die Erwachsenen. Anastasia, die Direktorin des Turniers, erteilte uns eine Lehrstunde im russischen Schach und zeigte uns ebenso an Hand von unzähligen Beispielen, wie sie schon den Kleinsten das Spiel beibringt. Sie verpackt es in Märchengeschichten, die gerade bei den Jüngsten großen Anklang und viel Aufmerksamkeit finden. Anastasia vergibt auch Hausaufgaben, welche die Kinder selbständig lösen müssen, stets mit einprägsamen Geschichten verbunden. So wird das logische Denkvermögen geschult und das Interesse am Schach wachgehalten. In Rußland beginnen die Kinder bereits im Kindergartenalter Schach zu erlernen und sind mit großen Ehrgeiz und einer solchen Leidenschaft dabei, daß sie exzellente Schachspieler werden können, was wir Deutsche an beiden Turniertagen hautnah erlebten.
Parallel dazu fertigten die Jugendlichen in den Nebenräumen kleine Schachandenken aus Holz an und festigten ihre Freundschaften beim Spielen.
Ab der Mittagszeit war ein Moskaubesuch mit Besichtigung des Roter Platzes und des Kremls geplant, was sich als eine äußerst aufregende Sache herausstellte. Wir erhielten von der einheimischen Führerin Ludmilla in einem exzellenten Deutsch eine ebensolche Führung, gespickt mit viel Hintergrundwissen. Hier blühten besonders unsere jugendlichen Schachspieler – Tim, Marc und Tom – richtig auf. Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bis in die Abendstunden konnten wir uns nicht sattsehen an dem Prunk und der Schönheit dieser einzigartigen Metropole. Die Metrostationen gleichen einer Art Museum, die von Station zu Station eine andere Pracht zum Vorschein bringt: Unzählige Symbole, Verzierungen und Marmorfiguren bzw. Statuen aus der Sowjetzeit sind zu bewundern. Die Decken sind mit wundervollen Kronleuchtern bestückt. Oben tobt hingegen der Verkehrsstau, der sich durch die Millionenmetropole quält. In den Stationen könnte man regelrecht von den Marmorböden essen, so gepflegt und sauber ist es. Selbiges gilt für den Roten Platz und all die umliegenden Straßen. Es bleibt einem bei all dem Gesehenen der Mund offen stehen.
Mit so vielen Eindrücken im Gepäck, wurden wir von unseren Gastfamilien abgeholt und verbrachten ganz individuell den Rest des Abends mit allen Familienmitgliedern. In Rußland wird Familie großgeschrieben, und ein jeder, ob Baby, Jugendlicher oder Großmutter, wird in die meisten Unternehmungen eingebunden. Es ist berührend, wenn deutsche Gäste in der Familie wohnen und die Großmutter liebevoll all die köstlichen Speisen wie Rote-Bete-Suppe, Teigtaschen mit den verschiedensten Füllungen, Kaviar auf selbstgebackenen und eßbaren Teilchen serviert werden oder Pfannkuchen und Quarktaschen mit saurer Sahne. Keine Arbeit wird zu viel, stets sieht man lächelnde Gesichter und hört immer die Nachfrage, ob man gesättigt und ob alles zur Zufriedenheit sei. Hier wird die russische Gastfreundschaft aufrichtig gelebt. Da kann man sich wahrlich eine Scheibe abschneiden.
Durch den intensiven Gesprächsaustausch eignete man sich Wissen über Land und Leute an. Neu war besonders für unsere drei Jugendlichen, daß die Notengebung eine komplett andere ist als in Deutschland: Die Bestnote ist die 5, was Schmunzeln hervorrief. Und: Schach zählt zu den normalen Unterrichtsfächern wie Geschichte oder Mathematik.
Frühprogramm am vierten Tag war der Besuch im Museum des Alltags in Altrußland, welches ausschließlich nur für uns am Sonntag geöffnet wurde. Nochmals ein großes Dankeschön für diese Geste und den Einsatz aller Museumsmitarbeiter. Nutzwerkzeuge, Alltagsgegenstände sowie Kleidung und die Wohnverhältnisse von anno dazumal konnte man besichtigen, sich erklären lassen und sogar selbst ausprobieren.

Gerrith Gloth und Sibylle Menzel beim Pressetermin
Die nachfolgende große Schachbegegnung mit ca. 170 Teilnehmern im Kulturhaus „Podmoskowje“ warf seine Schatten voraus: Auch am vierten Tag war das Interesse der russischen Medien ungebrochen. Alle zogen los und gingen auf Stimmen- und Bilderfang. Das Schnellschachturnier (10 min + 5s /Zug) wurde von der Altersklasse U9 bis zu den Erwachsenen im großen Turniersaal mit insgesamt sieben Runden ausgespielt. Von den Schachspielern aus Erlangen errang Gerrit bei den Erwachsenen den 7. Platz, da er leider in der letzten Runde gegen den Landshuter Stefan Mooser verlor. Tom fuhr bei der Jugend den 3. Platz ein.

Am Abend wurde das Abschlußfest regelrecht zelebriert: Die Bühne war im festlichen Gewand und mit russisch-deutschen Fahnen umrahmt, die Tische bogen sich vor all den Köstlichkeiten, die liebevoll dekoriert waren. Alle Gastfamilien mit ihren Kindern waren vor Ort, um uns gebührend zu verabschieden und die letzten Stunden in unbeschwerter Atmosphäre zu verbringen. Alle Delegationen präsentierten ihre Vereine, untermauert mit Bildern und Zahlenmaterial. Gerrit brillierte mit der Vorstellung unseres SC 48/88 und bekam dementsprechend viel Applaus. Und es wurden Geschenke verteilt und an jeden gedacht: Alle Organisatoren, die Vereine untereinander und auch Einzelpersonen erfuhren eine besondere Würdigung. Wir knüpften intensiven Kontakt zu unseren Mitspielern aus Wladimir, die sehr an einer Wiederbelebung der lange zurückliegenden gegenseitigen Besuche interessiert sind. Bei all dem Jubel schwang Wehmut und etwas Traurigkeit mit. Man hatte die vergangenen Tage zusammen verbracht, neue Freunde gewonnen, tolle Erlebnisse miteinander geteilt und mußte nun Abschied nehmen. Wir sahen an diesem Abend ein Bild, das glücklich macht: Viele Menschen umarmten und drückten sich. Das ist doch wohl das schönste Fazit, was man nach diesen Tagen ziehen kann: die Verständigung der beiden Völker in Zuneigung, Respekt und Herzlichkeit, ohne Grenzen zu kennen.

Der Abschied von seiner Gastfamilie fiel dem einen oder anderen am Montagmorgen doch relativ schwer. Man sah hier und da eine kleine Träne im Augenwinkel. Zu schön und intensiv waren die Zeit und das Erlebte. Nutzen wir die Gelegenheit, nochmals einen Dank an die Veranstalter, Organisatoren, Sponsoren und die wundervolle Gastfreundschaft der Familien auszusprechen. Wir werden noch lange von den Momenten in Rußland zehren und immer an die russisch-deutsche Freundschaft denken. Danke an Jelena Dildina, Anastasia Anikina und Swetlana Ljubenkowa. Es war großartig bei Euch.

Hier, in Höchstadt, hatte im Sommer alles seinen Anfang genommen. Links im Bild Klaus Strienz
An diesem Morgen hatten wir genug Zeit für die Abreise zum Moskauer Flughafen eingeplant, so daß wir den Moskauer Stau entspannt über uns ergehen lassen konnten. Mit Wehmut blickten wir während der Busfahrt aus dem Fenster und erhaschten letztmalig einige Blicke auf berühmte Sehenswürdigkeiten. Auf Wiedersehen, liebes Rußland.
Manuela Högner
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