Nach dem letztjährigen Medizin-Besuch der universitären Palliativmedizin mit Wladimir gestaltete sich der diesjährige Austausch etwas kleiner und weniger offiziell. Durch meine Bekanntschaft mit dem Allgemeinarzt Jürgen Binder und seiner Frau Heidi hatte ich schon öfter von den Fahrten in die Partnerstadt gehört, so natürlich auch von der letzten Reise, die ein Kommilitone begleitete. Die Nachfrage, ob ich denn dieses Jahr mitfahren möchte, freute mich umso mehr – wann kommt man schon einmal in die Russische Föderation. Eigentlicher Hintergrund der Fahrt war ein Sozialpraktikum einer dreiköpfigen Schülergruppe aus der Waldorfschule, wo Heidi Binder bis vor kurzem noch unterrichtete. Nachdem meine Mitreise beschlossene Sache war, bekam ich zügig den Kontakt zu Iwan Seliwjorstow, einem Radiologe aus Wladimir, der den vorhergehenden Medizinstudenten beherbergte und sich nun um ein Programm für mich kümmerte. Alsbald brachen wir schon auf, am 3. Juni in aller Früh stieg unsere kleine Delegation in den Flixbus Richtung Flughafen München und kam, im Gegensatz zum Vorjahr, ohne besondere Vorkommnisse in Moskau an. Unser erster Moskauaufenthalt dieser Reise gestaltete sich kurz: Airport-Express, Metro, Zug nach Wladimir. Die Schülergruppe, zwei Mädchen und ein Junge, wurden von ihren Gastfamilien in Empfang genommen, und Familie Binder und ich begaben uns in Richtung Erlangen-Haus.
8.30 Uhr Montag, ich mache mich auf den Weg Richtung Kreiskrankenhaus Wladimir. Iwan erwartet mich und führt mich kurz durch seine radiologische Abteilung, um mir darauf die Garderobe zu zeigen und mit den Worten „Du kommst ja wieder“ einen Klinikschlüssel in die Hand zu drücken. Anschließend begeben wir uns Richtung Traumatologie, in der ich am ersten Tag eingeteilt bin. Erste Auffälligkeit im Vergleich zu Deutschland: Die Gänge sind breit und leer, keine Visitenwägen oder sonstiges Mobiliar stehen herum. Auch die Krankenzimmer beschränken sich meist auf zwei bis vier Betten und weiter nichts, man möchte fast sagen karg. Nachdem mich Iwan, der übrigens Englisch und auch Deutsch spricht, an die Traumatologen übergeben hatte, wurde ich erst einmal zu Tee und Keksen ins Arztzimmer eingeladen. Dieses ist ein mittelgroßer Raum von vielleicht 25 qm voll aneinandergedrängter Holzschreibtische mit einem Schrank und einer kleinen Sofaecke. Nach kurzer Vorstellungsrunde gingen wir geradewegs Richtung Operationssaal, der sich als großer, gekachelter Raum mit breiter Fensterfront im obersten Stockwerk herausstellte. Daran angeschlossen gibt es an der einen Seite einen Vorraum mit integrierter Umkleide, Aufenthaltsraum und Materialienlager, an der anderen einen großzügigen Waschraum mit angeschlossener Sterilisationskammer. Im Saal selbst waren zwei Arbeitsplätze, ein Operationstisch und ein Endoskopietisch sowie die anästhesiologische Patienteneinleitung nebeneinander. Wenn möglich, werden hier alle Eingriffe in Rückenmarksanästhesie durchgeführt, des einfacheren Überwachungsaufwands wegen. Kurze Irritation erzeugen die geblümten sterilen Abdecktücher aus Baumwolle, die an Omas Tischdecken erinnern und mangels Klebefläche auch mal kurzerhand am Patienten festgenäht werden. Schon beim folgenden Punkt des OP-Plans durfte ich mit an den Tisch, eine Hüftendoprothese. Wenn man sich erstmal an die Blümchendecken und den wachen Patienten gewöhnt hat, ist der eigentlich Operationsablauf genau wie bei uns, von der Lagerung bis zur Prothese. Vor dem nächsten Eingriff geht es kurz zurück ins Arztzimmer, Tee trinken und Schokolade essen. So zeigte sich hier, wie im Grunde bei allen folgenden Erlebnissen in russischen Krankenhäusern, wie die russischen Pflegekräfte und Ärzte mit eingeschränkten Mitteln versuchen, das Beste herauszuholen. Nicht mangelt es dabei an medizinischem Material oder schlicht Geld. Eine abschließende Beurteilung kann und will ich mir gar nicht erlauben, die Statistik wäre natürlich sehr interessant. Bei den folgenden Krankenhausaufenthalten habe ich darüber hinaus gelernt, wie der russische Patient mitunter noch etwas mehr zu leiden hat, wenn Untersuchungen ohne Betäubung durchgeführt werden. Manchmal fällt auch eine Untersuchungsart für mehrere Wochen aus, weil es keine Ersatzteile für das entsprechende Gerät gibt. Doch genug von der Medizin.
Wir haben auch das Land näher kennengelernt und waren drei Tage in Nischnij Nowgorod, einer Millionenstadt, wo Wolga und Oka zusammenfließen. Der obligatorische Besuch in der Klosterstadt Susdal stand natürlich auch auf dem Programm, für weitere Eindrücke in diese Richtung möchte ich auf die zahlreichen Einträge im Blog Erlangen-Wladimir verweisen.
Das mittlere Wochenende unseres Aufenthalts verbringen wir in Moskau und können freundicherweise bei dem Ehemann einer Kollegin von Heidi Binder wohnen, der für einige Jahre in Moskau arbeitet. Ausgestattet mit einem Anlaufpunkt 30 Fußminuten vom Kreml entfernt, können wir so leicht die Stadt erkunden und haben einen ausgesprochen freundlichen Reiseführer für die drei Tage. Vielen Dank noch einmal an David.
Zurück in Wladimir verbringe ich die zweite Woche bei einer Gastfamilie, Iwan und Alexandra, ein Feuerwehrmann und eine Krankenschwester. Ich darf das Kinderzimmer bewohnen, da ihre Tochter die Sommerferien mit der Oma auf der Datscha verbringt. Die beiden kümmern sich wirklich übermäßig gut, man bekommt schon fast ein schlechtes Gewissen, wenn man weiß von welchem Gehalt staatliche Angestellte hier leben müssen. Langsam, aber sicher, schickt die WM ihre Vorboten voraus. Schon in Moskau fielen die immer größer werdenden Touristengruppen aus aller Welt auf. Schließlich fallen unser letzter Abend und das Eröffnungsspiel der WM aufeinander, ein Grund für uns, mit allen Gastfamilien zum Public Viewing in Wladimir zu gehen und sie danach zum Abschiedsessen einzuladen. Beim Public Viewing gibt es hier übrigens Alkoholverbot – so kann man sich die Veranstaltung eher wie ein Familienfest mit vielen Essensständen und Sitzgelegenheiten für alle vorstellen.
Abschließend möchte ich betonen, wie sehr mir die zwölf Tage gefallen haben. Einige Dinge waren so, wie ich es erwartet hatte, andere gar nicht. Vor allem im Gedächtnis bleibt die unglaubliche Gastfreundschaft mit der einem begegnet wird. Es gibt Pläne des allgemeinmedizinischen Lehrstuhls im nächsten Jahr eine Delegation nach Wladimir zu entsenden, ich kann nur jedem Kommilitonen, der auch nur ein klein wenig Interesse besitzt, raten sich anzuschließen und eine schöne Zeit in unserer Partnerstadt zu verbringen.
Fabian Frank
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