Gestern abend brachte die Theater Gruppe des Vereins Brücken das dramatische Poem „Pugatschow“ von Sergej Jessenin auf die Bühne des Museumswinkels. Ein Stück, das leider dem deutschsprachigen Publikum kaum bekannt ist, auch wenn es in einer Übersetzung von Elke Erb vorliegt. Da die gestrige Aufführung – vor vollem Haus – die russische Originalfassung wählte, wird sich daran zumindest in Erlangen auch nicht viel ändern. Leider, denn das historische Drama in Versen imaginiert in wunderschönen Bildern Glanz und Elend, Aufstieg und Fall des Aufständischen Jemeljan Pugatschow, der sich selbst zu Zar Peter III ernannte und behauptete dem Mordanschlag seiner angeblichen Gattin, der Zarin Katharina, entronnen zu sein. Gefolgschaft und Verrat mit all den großen Gefühlen menschlicher Leidenschaft sind die Antipoden eines Textes, der sprachlich zwar mit viel historisierendem Pathos seinen Platz in den experimentellen 20er Jahre des 20. Jahrhunderts findet, in seinem lyrisch aufbegehrenden Duktus aber auch heute noch aufwühlt und packt.
Packend der Held des Stücks, in dessen Rolle ein ebenso überragender wie überzeugender Wadim Schdanow aufgeht, packend die Ensemble-Leistung, das eine enorme Textpräsenz beweist, und packend die Regie-Arbeit von Fjodor Newelskij, dem zum Altmeister nur noch die Jahre fehlen. Applaus und Bravo-Rufe am Ende der etwa eineinhalbstündigen Vorstellung ohne Pause erklangen hochverdient. Sie galten aber auch einer Choreographie, die in ihrer elementaren Kraft wie für das Stück über einen mißlungenen Aufstand geschaffen wirkt.
Zu den unverwüstlich-wütenden Liedern voller Widerstand und Trotz des Schauspielers und Liedermachers Wladimir Wyssozkij, wie Sergej Jessenin viel zu früh gestorben und Held ganzer Generationen, sang und tanzte der Chor der sechsköpfigen Frauengruppe und verband die einzelnen Szenen der gescheiterten Revolte mit dem fragilem Furor einer überschäumenden Emotionalität, wohl am eindrücklichsten gelungen in der Passage „Haß“, wo durch die Einbeziehung der Männer die Choreographie das Widerstrebende, aus dem das ganze Werk seine Stärke bezieht, aufwühlend und packend immer neue Figuren und Gestalten schafft.
Die Schöpferin der Choreographie, Jelena Prokofjewa, stammt aus Wladimir und lebt seit 2001 in Deutschland, zunächst in Erlangen, von wo sie später nach Karlsruhe zog. Kein Grund, um nicht schon einmal mit Fjodor Newelskij gearbeitet zu haben, zuerst selbst auf der Bühne, nun fiebernd im Publikum mit kritischem Blick auf ihr Werk. Doch das war gut getan. „Fünf Stunden am Stück habe ich mit der Truppe einmal geprobt“, erinnert sich die Künstlerin, die nach der neunten Klasse eine Ausbildung zur Tanzpädagogin gemacht und diese im Alter von 19 Jahren mit Auszeichnung abgeschlossen hat, bevor sie ihr Lehramtsstudium für Deutsch und Englisch in Wladimir aufnahm und in Deutschland als Magister Artium der Germanistik abschloß. „Am Ende waren wir alle nur noch glücklicher und energiegeladener.“ Eben ganz so wie nach der so gelungenen Premiere. „Ich bin ja so zufrieden“, ruft sie noch und ist schon wieder auf der Bühne, um mit den Tänzerinnen den Erfolg zu feiern.
Verdient hat auch Wort des Lobes das Bühnenbild, das als Agens in das Geschehen eingebunden ist und nur aus Ketten besteht. In denen hängt der von Jermeljan Pugatschow getötete Vertreter der Zarin, hinter denen verschwindet der Bauernführer selbst nachdem sich die eigenen Leute gegen ihn verschworen haben. Ausweglos: Ein Land in Ketten, das nach dem Aufstand noch tiefer in der Tyrannei der zaristischen Selbstherrschaft und der Unfreiheit der Leibeigenen versinkt. Ein schauriger Abgesang auf die Utopie, die Menschen und deren Verhältnisse durch einen blutigen Aufstand zu verbessern zu können.
Sicher auch ein Reflex auf die Enttäuschung des Autors Sergej Jessenin, der anfangs die Oktoberrevolution flammend begrüßte, jedoch bald vor deren Blutrausch zurückschreckte und sich enttäuscht ganz in die Welt der lyrischen Bilder zurückzog. Wenn man nun „Pugatschow“ auf der Bühne sieht, versteht man, warum seit den Stalin-Jahren bis in die Periode der Perstrojka hinein dieses Stücke und große Teile des Werks von Sergej Jessenin in der Giftkammer der Sowjetzensoren verschwand. Denen fehlte wohl das Element der „lichten Zukunft“, versprochen von den Ideologen über Jahrzehnte hin – mit bekanntem Ausgang. Auch für den Autor: Vier Jahre nach Erscheinen des Stücks nahm er sich gerade einmal 30jährig das Leben.
Wer das fulminante Stück des meisterlichen Laien-Ensembles noch sehen möchte – um es zu verstehen, sind freilich fast muttersprachliche Russischkenntnisse von Vorteil -, hat dazu am Samstag, den 3. März, um 19.00 Uhr, Gebbertstraße 1, Rückeingang, noch einmal Gelegenheit. Aber auch die schwere Qual der guten Wahl, denn um die gleiche Zeit singt der Kammerchor Raspew aus Wladimir in der Hugenottenkirche…
Kommentar verfassen